Heinrich Jung treibt eine Mission an: die Lebensdauer von Elektrogeräten durch fachkundige Reparatur verlängern. Und damit wertvolle Ressourcen schützen. Inzwischen findet sein Engagement immer mehr Anhänger. In der Region, aber auch bundesweit.

In und um Ingelheim kennt man Heinrich Jung. Wenn der Elektriker mal wieder mit seinem auffallend beklebten Elektro-Minivan lautlos durch die Straßen rollt, wissen die meisten: Das Team der Blitzblume geht der Wegwerfgesellschaft an den Kragen. Denn Heinrich Jung, sein 28-jähriger Sohn Phillip und zwei weitere Mitarbeiter reparieren elektrische Geräte, wann immer möglich – von Waschmaschinen über Backöfen bis hin zu Trocknern und Geschirrspülern.Sein Auto ist deshalb auch gleich das Markenzeichen des Betriebs: nicht nur, weil die große rote Blume mit Blitz den Unternehmensnamen symbolisiert, sondern vor allem auch, weil die Mia – so heißt der kleine Elektro-Van – ein neu entwickeltes E-Auto der frühen 2010er-Jahre war. Das Fahrzeug wird seit 2014 nicht mehr produziert. Die ambitionierte Konstruktion war ihrer Zeit offenbar zu weit voraus und der Hersteller Mia Electric musste vorzeitig die Segel streichen. Für Heinrich Jung kein Grund, seine Mia zu ersetzen. Er fährt sie, bis sie auseinanderfällt. Als Elektriker kann er praktisch alle Probleme selbst lösen.

Reparieren als Mission.

Heinrich Jung sieht seine Arbeitskraft als regenerative Energiequelle: „Dinge wieder zu reparieren, ist meine kognitive Fähigkeit. Essen muss ich so oder so; damit nehme ich Energie auf. Und wenn ich diese in meinem Job einsetze, wird meine Arbeitskraft zu einer endlosen Quelle, die letztlich den Verbrauch von Ressourcen verringert. Denn diese sind nun mal endlich und damit nur begrenzt verfügbar.“ Deshalb setzt sich der Handwerker dafür ein, Rohstoffe so lange und effizient wie möglich zu nutzen und nicht durch vorzeitiges Wegwerfen zu verschwenden. „Das muss das neue Normal sein – und nicht etwas Besonderes. Alles andere ist eine große Dummheit der Gesellschaft“, findet er.

„Meine Arbeitskraft ist eine endlose Quelle, die den Verbrauch von Ressourcen verringert.“
Heinrich Jung

Reparieren? Einstellungssache!

Aufgewachsen im Saarbrücker Arbeitermilieu, absolvierte Heinrich Jung zunächst seine Ausbildung als Starkstromelektriker in einem Hüttenwerk. Danach arbeitete er als Elektromeister an großen Fertigungsanlagen in der Autoindustrie. „Damals waren Elektriker noch echte Kerle“, lacht er. „Ich fand die Arbeit zwar super interessant. Allerdings diente ich damit nur der Industrie und dem Fetisch Auto. Das widerstrebte mir als Aktivist in der Anti-Atomkraft- und Friedensbewegung.“

Die Gründung der Blitzblume 1983, damals noch in Augsburg, war deshalb eine politische Entscheidung für Heinrich Jung. „Ich wollte selbst aktiv werden und stellte mir die Frage, wie ich mich als Elektromeister für die Ökologie engagieren kann.“ 1995 zog es ihn nach Ingelheim, wo er seitdem lebt und mit der Blitzblume große Elektrogeräte aus unzähligen Haushalten in der Region repariert.

Berühmter Öko-Pionier.

Inzwischen sind Heinrich Jung und seine Blitzblume weit über Ingelheim und Rheinhessen hinaus bekannt. Fernsehbeiträge im SWR und WDR über ihn – oder vielmehr über das, was er und sein Team machen – haben hohe Wellen geschlagen. Der Grund für die große Aufmerksamkeit liegt in Jungs überzeugtem und nachhaltigem Handeln gegen die Wegwerfkultur. Das findet immer mehr Anhänger. Denn noch werden in Deutschland defekte Elektrogeräte viel zu oft durch neue ersetzt, statt sie zur reparieren. Die Folge: die Verschwendung unvorstellbar großer Mengen wertvoller Rohstoffe. Allerdings ist das keine Entwicklung aus den vergangenen Jahren. „Schon in den 1980er-Jahren war klar, dass wir in einer Wegwerf-Gesellschaft leben“, erklärt Heinrich Jung. „Damals gab es zwar noch mehr Betriebe, die defekte Geräte reparierten. Aber der Mainstream ging bereits in eine andere Richtung, zum Verkauf.“

Über 13.000 Waschmaschinen und mehr als 7.000 Geschirrspülmaschinen hat Heinrich Jung in den vergangenen vier Jahrzehnten instand gesetzt.

Geplante Obsoleszenz – eine Masche der Hersteller?

Fast jeder hat es schon mal erlebt: Kurz nachdem die Garantie für ein Elektrogerät abgelaufen ist, tritt ein Schaden auf. Dieses Phänomen nennen Fachleute geplante Obsoleszenz. Elektrohersteller bestreiten allerdings vehement, dass Fehler absichtlich auftreten. Heinrich Jung sieht das anders. Im Lauf der vergangenen vier Jahrzehnte hat er sich unter anderem um über 13.000 Waschmaschinen und mehr als 7.000 Geschirrspülmaschinen gekümmert, alles detailliert festgehalten in Excel-Tabellen. „Beweisen kann ich die geplante Obsoleszenz nicht, aber es gibt klare Indikatoren, die darauf hindeuten“, sagt der Experte. „Die Haltbarkeit der Geräte verringert sich. Das ist eine Erfahrung von jedermann. Ich höre davon täglich am Telefon.“ Generell ist es völlig normal, dass bei Elektrogeräten irgendwann ein Verschleiß auftritt und Bauteile ausgetauscht werden müssen. „Selbst eine 20 Jahre alte Waschmaschine könnte man beispielsweise durch den Einbau eines neuen Motors oder einer Pumpe reparieren. Die Maschine hat bewiesen, dass sie 20 Jahre laufen kann. Warum soll sie das nicht noch weitere 20 Jahre tun?“, fragt Heinrich Jung. Deutlich weniger normal findet Heinrich Jung sogenannte konstruktive Fehler, also solche, die von Anfang an in der Konstruktion des Gerätes vorbestimmt sind. Dazu der Experte: „Wenn die Elektronik nach drei Jahren kaputtgeht, hat das nichts mit Verschleiß zu tun.“ Auch in unnötigen Funktionen sieht er eine ärgerliche Fehlerquelle: „Selbst ein Computernerd benötigt keine Waschmaschine, die mit seinem Smartphone verbunden ist.“

Ein Recht auf Reparatur.

Häufig sind Heinrich Jung und sein Team in der Lage, eine Waschmaschine wieder zum Laufen zu bringen, indem sie ein winziges Bauteil in der Elektronik austauschen. Der ökologische Vorteil ist offensichtlich. Das Problem: Deutschlandweit gibt es nur wenige Betriebe, die solche Leistungen anbieten. Er würde die Hersteller gerne in die Pflicht nehmen. Mit dem Verein Runder Tisch Reparatur setzt sich Heinrich Jung für das „Recht auf Reparatur“ ein. „Instandsetzen ist das Normalste, was man sich vorstellen kann. Ein Gerät einfach ohne Reparaturversuch wegwerfen, das ist nicht normal“, sagt er. Ein Verbraucherschutzgesetz auf EU-Ebene soll das rechtlich untermauern. Frankreich hat zuletzt einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, findet der Ingelheimer. Im Nachbarland müssen neue Elektrogeräte seit 2021 einen sogenannten Index der Reparierbarkeit haben.

„Ganz gleich, wo die Menschen leben, ich gebe ihnen immer Tipps und Ratschläge.“
Heinrich Jung

Neue Hoffnung und Inspiration für andere.

„Ich bin ein hoffnungsfroher Mensch und denke, dass sich etwas zum Positiven verändern kann“, erklärt Heinrich Jung. Er beobachtet in vielen Teilen der Gesellschaft ein Umdenken. In Repaircafés, die wie Pilze aus dem Boden schießen. Bei Leuten, die mehr selbst reparieren möchten. Oder bei jungen Menschen, die sich für den Beruf des Elektrikers entscheiden. Auch seine Mitarbeiter teilen die Anschauung, darunter sein Sohn Phillip, der in Sachen nachhaltiges Handeln bereits vor vier Jahren in die Fußstapfen seines Vaters trat.

Morgens, wenn Heinrich Jung den Telefondienst in seinem Werkstattbüro übernimmt, klingelt das Telefon beinahe pausenlos. Es sind längst nicht nur Leute aus der Umgebung, die ihre Elektrogeräte in der Blitzblume reparieren lassen möchten. Bayern, Schwaben, Menschen aus dem Ruhrgebiet, von überall rufen sie bei Heinrich Jung an. Sie benötigen Unterstützung oder berichten davon, dass seine Arbeit sie inspiriert habe. „Ganz gleich, wo die Menschen leben, ich gebe ihnen immer gerne Tipps und Ratschläge. Oft ist allein damit ein Hausbesuch überflüssig. Muss beispielsweise das Flusensieb in der Waschmaschine gereinigt werden, kann das jeder mit entsprechender Anleitung selber machen“, berichtet Heinrich Jung.

Anleitung im RepairCafé Ingelheim.

Heinrich Jung rät jedoch davon ab, dass Laien selbst am Elektroherd oder Ähnlichem schrauben. Das kann gefährlich sein. „Aber ein paar Reparaturarbeiten kann jeder lernen“, weiß der Tüftler. Zum Beispiel im RepairCafé Ingelheim, bei dem er von der ersten Stunde an dabei ist. „Hier stelle ich meine Arbeitskraft kostenfrei zur Verfügung, um für den Reparaturgedanken zu werben. Das gemeinsame Suchen nach Fehlern, das finde ich fast aphrodisierend. Zusammen macht das richtig Laune“, lacht der Handwerkermeister.

Ihn freue es auch, dass die Jugend mehr Wert auf Umweltschutz legt, was sich zum Beispiel durch die Fridays-for-Future-Demonstrationen zeigt. Heinrich Jung möchte junge Menschen ermutigen, dieses Engagement auch bei der Berufswahl einzubringen. „Als Individuum hast du nur begrenzt die Möglichkeit, etwas zu verändern: indem du wählen gehst – das ist das absolute Minimum – und indem du dein Konsumverhalten änderst. Doch noch viel höhere Potenz hat die Berufswahl, mit der du im Lauf deines Lebens am allermeisten bewirken kannst.“
Genau das versuchen Heinrich Jung und das Blitzblume-Team weiterhin: im RepairCafé, bei ihren Kunden und bei noch vielen, vielen Waschmaschinen.

Hier können Sie sich den Fernsehbeitrag des WDR anschauen:
https://www.youtube.com/watch?v=ndBdXBs2vIU&ab_channel=WDRDoku

Kontakt

Blitzblume-Ingelheim
Altegasse 62
55218 Ingelheim am Rhein
E-mail: jung@blitzblume-ingelheim.de
Telefon: 06132 798011
Telefonzeiten: Mo–Fr 8.00–10.00 Uhr
Werkstattzeiten: Mo–Fr 8.00–10.00 Uhr

RepairCafé Ingelheim

Termin: jeden 1. Mittwoch im Monat
18.00–21.00 Uhr (pausiert derzeit coronabedingt!)
Kontakt
Mehrgenerationenhaus (MGH)
Matthias-Grünewald-Straße 15, 55218 Ingelheim am Rhein
E-mail: repaircafe-ingelheim@web.de
Telefon: 0152 29563319
Raum: Multimax
Gebühr: kostenlos

Bildnachweis: Blitzblume Ingelheim, Jutta Nelißen
Gruppenbild: v.l.n.r. Oliver Stens, Joschka Wein, Heinrich Jung, Phillip Jung

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