Freude, Kreativität und Ausdauer: Der Graffiti-Workshop des Jugend- und Kulturzentrums Yellow der Stadt Ingelheim und dem Mainzer Graffiti-Kollektiv LetterBox war ein voller Erfolg. Im Interview erklären die Macher der Aktion, wie junge Künstler unsere Stromkästen zu Leinwänden verwandelten.

Kreativität statt Leerlauf

In den rheinland-pfälzischen Sommerferien hat das Jugend- und Kulturzentrum der Stadt Ingelheim, Yellow, gemeinsam mit dem Mainzer Graffiti-Kollektiv LetterBox einen Graffiti-Workshop für Jugendliche und junge Erwachsene angeboten.
Als krönenden Abschluss konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bislang eher triste Stromkästen in der Ingelheimer Innenstadt mit der Sprühdose verschönern. Unterstützt wurde die Aktion von der Rheinhessischen. Wir haben mit Marvin Mißkampf, Streetworker beim Yellow, und Mario (alias „Quap“) vom LetterBox Kollektiv gesprochen.

Sie beide haben die neuntägige Ferienaktion im Rahmen des Ingelheimer Jugendsommers begleitet. Wie lief’s?

Quap: Ich war begeistert, mit wie viel Freude, Kreativität und Ausdauer die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ans Werk gegangen sind. Sich künstlerisch auszuprobieren, hat viele Energien in ihnen freigesetzt.

Marvin Mißkampf (MM): So sehe ich das auch. Alle hatten viel Spaß und zeigten sich in ihren Entwürfen sehr kreativ. Es war toll zu sehen, wie sie im Verlauf der Tage immer sicherer mit der neuen Technik umgingen.

 

Wie ist die Idee zum Workshop entstanden?

MM: Beim Yellow besteht unser Team aus Streetworkerin Katherine, Streetworker Philip und mir. Im Rahmen der Jugendsozialarbeit beschäftigen wir uns überwiegend mit sozial benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Unser Ziel ist es, sie aktiv in ihrem Alltag zu begleiten und zu unterstützen. Zudem liegt uns am Herzen, ihnen abwechslungsreiche Freizeitangebote zu bieten – in Form von Veranstaltungen und Aktivitäten, die sie sich sonst nicht leisten und daher nicht daran teilhaben könnten. Wir gestalten unsere Angebote lebensweltorientiert und beteiligen die Jugendlichen an der Planung. Es gibt verschiedene Angebote für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene – etwa Kletterkurse, Kochkurse, Konzerte, Ferienprogramme und erlebnispädagogische Projekte. Oder eben einen Graffiti-Workshop. Wir waren überzeugt, unsere Jugendlichen damit zu erreichen. Und so war es dann ja auch.

 

Graffiti spricht viele junge Leute an und macht Spaß. Bringt es noch weitere Vorteile?

MM: Graffiti ermöglicht, Jugendliche in die Gestaltung öffentlicher Plätze und des Stadtbildes einzubeziehen – Stichwort Partizipation. Junge Menschen leisten damit auf ihre Weise einen wichtigen Beitrag zur Aufwertung des Stadtbildes.

 

Gab es Vorbilder?

MM: In anderen Kommunen fanden bereits Graffiti-Workshops erfolgreich statt.
So wurden beispielsweise in Worms Stromhäuschen besprüht, also größere Flächen. Kleine Stromkästen zu bearbeiten, ist nochmal eine besondere Herausforderung. Und das Ziel war, dass die fertig gestalteten Stromkästen gut ins Stadtbild passen und sich alle damit wohlfühlen. Künstlerinnen und Künstler, Anwohnerinnen und Anwohner.

 

Was konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Workshop lernen?

Quap: Wir haben den Kurs in einen Theorie- und einen Praxisblock geteilt. Im ersten Teil ging es um die Geschichte des Graffitis und um die Vermittlung von Wissen über Sprühtechniken und den Aufbau von Buchstaben. Dann folgte das konkrete Projekt:
In einem gemeinsamen Brainstorming haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Motive entwickelt. Dabei standen wir ihnen natürlich jederzeit zur Seite, um sie zu unterstützen.

Anschließend haben wir zusammen große Holzplatten im Außenbereich des Yellow aufgehängt und mit selbst entwickelten Motiven besprüht. Das war ein Zwischenschritt, um die Technik an der Sprühdose zu lernen und danach Motive für die Stromkästen zu entwickeln. Schließlich waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer so weit, ihre Motive auf kleine Stromkästen zu übertragen.

 

Was war das Besondere am Ferienkurs?

Quap: Wir haben uns viel Zeit genommen. Für die meisten war Graffiti ja Neuland, und der eine brachte mehr, der andere weniger Vorerfahrung oder Talent mit.

MM: Ich persönlich fand auch die große Altersspanne erwähnenswert – der jüngste Teilnehmer war gerade mal zwölf Jahre alt, der älteste Ende 20. Wobei das Alter nichts über die Kunstfertigkeit aussagt. Übrigens nahmen auch drei Mädchen am Workshop teil. Das ist deshalb erwähnenswert, weil Graffiti ja oft als „Männerkunst“ wahrgenommen wird.

 

Wie sind Sie vorgegangen?

MM: Wir haben drei Gruppen gebildet. Jede davon wurde von einem Yellow-Streetworker oder der Streetworkerin und einem Mitglied von LetterBox begleitet und angeleitet. Am Ende hat jede Gruppe einen Stromkasten in der Ingelheimer Innenstadt mit ihrem selbst entworfenen Motiv besprüht.

Quap: Der Stromkasten am Bahnhof zum Beispiel ist echt toll geworden.

Mit seinen bunten Eiskugeln ist er jetzt ein echter Hingucker.

Was genau verbirgt sich hinter dem LetterBox Kollektiv?

Quap: Wir sind etwa zehn Graffiti-Künstlerinnen und -Künstler aus Mainz und Umgebung mit allen möglichen Berufen. Ich selbst bin Sozialarbeiter. 2019 haben wir uns zusammengeschlossen und ein Kollektiv gegründet, dem wir einen Namen und damit ein „Gesicht“ für die Öffentlichkeit gegeben haben. Dabei sind wir kein Verein, sondern ein individuelles Netzwerk von Freunden. Neben unserer privaten Kunst nehmen wir auch Aufträge von Firmen, Institutionen und Einzelpersonen an, die uns künstlerische Freiheit geben und zu uns passen. Der Workshop mit dem Yellow passte perfekt zu uns und unserer Philosophie.

 

Was war Ihnen in der Zusammenarbeit mit dem Yellow wichtig?

Quap: Graffiti ist ein gutes Medium, um Jugendliche und junge Erwachsene zu erreichen. Wir freuen uns, dass wir in Kooperation mit dem Jugendzentrum und der Rheinhessischen jungen Menschen und den Einwohnern Ingelheims Graffiti mit all seinen Facetten näherbringen konnten. Und dass wir zusammen mit den Workshop-Teilnehmern das Stadtbild um ein paar neue „Farbklekse“ in Form von bunt gestalteten Stromkästen bereichern konnten.

 

Wie geht es nach dem Ferienworkshop weiter?

MM: Nachdem der so toll verlaufen ist, planen wir, die Zusammenarbeit mit LetterBox zu erweitern und künftig einen fortlaufenden Graffiti-Kurs im Yellow anzubieten. Noch viel mehr Stromkästen in Ingelheim sollen schöner werden.
Von der Rheinhessischen haben wir schon grünes Licht bekommen.

Bildnachweis: Stadt Ingelheim/LetterBox Kollektiv

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