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Energiemarkt. „Mit der Grundversorgung tragen wir besondere Verantwortung.“

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Vor neun Monaten, Anfang Juni 2021, übernahm Martin Wunderlich die Geschäftsführung der Rheinhessischen. Eine turbulente Zeit, geprägt von Preisexplosionen auf den Energiemärkten, Lieferstopps von Billiganbietern und insolventen Energie-Discountern. Wie es der Rheinhessischen dennoch gelingt, in der Grundversorgung für Strom und Gas weiterhin faire Preise auch für ersatzversorgte Kund:innen anzubieten und warum sich eine nachhaltige Geschäfts- und Beschaffungspolitik auszahlt, erklärt er im Interview.

Ein Hinweis vorab: Das Interview entstand vor dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine. Alle Aussagen haben dennoch weiter Gültigkeit. Sobald die aktuelle Lage und ihre Auswirkungen auf die Energieversorgung klarer sind, wird die Rheinhessische einen entsprechenden Beitrag in ihrem Blog veröffentlichen. Wir blicken mit Bestürzung auf die Lage der Ukraine und Europa.

 

Herr Wunderlich: Explodierende Preise, Lieferstopps zahlreicher Billiganbieter. Im ersten Dreivierteljahr Ihrer Geschäftsführung geriet der Energiemarkt in ein sehr unruhiges Fahrwasser. Hätten Sie damit gerechnet?

Martin Wunderlich: Dann hätte ich mir die Übernahme der neuen Aufgaben noch einmal gründlich überlegt (lacht). Spaß beiseite. Nein, diese Entwicklung, wie wir sie seit Monaten erleben, hat niemand vorhergesehen. Bevor ich die Geschäftsführung übernahm, leitete ich 22 Jahre den Vertrieb. Solch eine Dramatik gab es in den ganzen Jahren seit der Liberalisierung des Energiemarkts nicht, ich würde sie als historisch bezeichnen. Teilweise hatten wir es kurzfristig mit mehr als 400 Prozent höheren Beschaffungspreisen zu tun, sechs kleinere Energielieferanten streckten bereits ihre Flügel und Discounter, wie gas.de oder stromio.de, stellten die Lieferung für ihre Kundinnen und Kunden einfach ein – ohne Insolvenz anzumelden. Wir sehen hier die negativen Folgen der Liberalisierung und von vermeintlich günstigeren Preisen. Sobald die Börsenlage kippt, können oder wollen manche Billiganbieter ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen.

Wie bekommen Sie als regionaler Grundversorger für Strom und Gas die Lage zu spüren?

Wir übernehmen für die Menschen und Unternehmen in der Region die Energielieferung, wenn die anderen ausfallen – die sogenannte Ersatzversorgung für Strom und Gas. Das ist unsere Aufgabe als Grundversorger. Denn wir sind in der Region der Anbieter mit den meisten Strom- und Gaskundinnen und -kunden – daraus leitet sich die Rolle als Grundversorger ab. Aktuell können auch wir einen deutlichen Zuwachs von zuvor fremdversorgten Haushalten verzeichnen.

 

Was bedeutet denn eigentlich Grund- und Ersatzversorgung?

Die Grundversorgung stellt die Lieferung von Strom und Gas an die Haushalte sicher. Wer aufgrund eines Umzugs noch keinen Energielieferanten hat oder wegen mangelnder Bonität seinen Anbieter nicht frei wählen kann, erhält Strom und Gas von seinem jeweiligen Grundversorger. In Ingelheim also von der Rheinhessischen. Gleiches gilt, wenn sich ein Lieferantenwechsel verzögert. Die Ersatzversorgung greift beispielsweise, sobald ein anderer Anbieter seine Lieferung plötzlich einstellt. Sobald dies passiert, informieren wir die betroffenen Haushalte darüber schriftlich und erklären die weitere Vorgehensweise. Als Grundversorger tragen wir also eine besondere Verantwortung für die Daseinsvorsorge in der Region.

 

Welche Konditionen gelten denn dann?

In der Grundversorgung greifen die sogenannten Allgemeinen Preise für Strom und Gas. Sie müssen sechs Wochen vor Wirksamwerden veröffentlicht und bekannt gemacht werden. In der Ersatzversorgung zahlen Haushaltskunden und -kundinnen dieselben Preise wie in der Grundversorgung. Allerdings ist sie zeitlich maximal auf drei Monate befristet. Innerhalb dieses Zeitraums können die Betroffenen in einen regulären Energieliefervertrag oder Sondertarif bei uns wechseln oder sich einen anderen Energielieferanten suchen.

 

In den Schlagzeilen häufen sich Nachrichten, dass immer mehr etablierte Energielieferanten in der Ersatzversorgung deutlich teurere Tarife auflegen als für ihre Bestandskundinnen und -kunden. Plant das auch die Rheinhessische?

Das Dilemma ist tatsächlich, dass viele Grundversorger jetzt Energie zu extrem hohen Preisen auf den Beschaffungsmärkten nachkaufen müssen, weil Billiganbieter ihren Energielieferverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Dabei geht es deutschlandweit insgesamt um mehrere hunderttausend Kundinnen und Kunden. Die Grundversorger baden also riskante und fragwürdige Geschäftspraktiken einiger Marktakteure aus. Auch viele benachbarte Energieversorger haben deshalb gesonderte und deutlich teurere Grund- und Ersatzversorgungstarife für neu hinzugewonnene Haushaltskunden eingeführt. Eine unternehmerisch normale Reaktion auf Kundenzugänge, die in die Versorgung aufgenommen werden müssen und für die zusätzliche Energie zu hohen Preisen am Markt beschafft werden muss. Von solch einer gesonderten Preispolitik sieht die Rheinhessische jedoch ab – da sie auch mit rechtlichen Bedenken einhergeht. Lediglich für Nicht-Haushaltskunden mit einem Verbrauch von größer zehn Megawattstunden
pro Jahr haben wir für Strom und Gas gesonderte Ersatzversorgungs-Tarife.

 

Bei so vielen neuen Kundinnen und Kunden – drohen da nicht höhere Preise, weil Sie Energie teuer nachkaufen müssen?

Aufgrund unserer nachhaltigen, langfristigen Beschaffungsstrategie gelang es uns bis dato, die Allgemeinen Preise in der Grundversorgung für Strom noch auf einem günstigen Niveau zu halten. Beim Gas mussten wir Anfang Januar wegen der enorm gestiegenen Preise und dem großen Kundenzuwachs in der Ersatzversorgung die Tarife leicht erhöhen. Dennoch stehen wir auch hier im Marktvergleich gut da. Je mehr Versorger und reine Vertriebsgesellschaften allerdings insolvent gehen oder die Lieferung an ihre Kundinnen und Kunden einstellen, desto eher ist auch die Rheinhessische gezwungen, ihre Preise anzupassen. Denn weil wir diese Mengen nicht in unserer langfristig angelegten Beschaffung einplanen konnten, müssen wir sie unter Umständen zu deutlich schlechteren Konditionen nachkaufen.

 

Welche Handlungsempfehlung geben Sie in der aktuellen Situation?

Unseren langjährigen Bestandskunden in der Region empfehlen wir, die gewählten Sondertarife Treue Seele, Pure Freude oder Extra Klasse zu nutzen oder über unser Kundenportal einen Tarifwechsel durchzuführen, um so weiter von den Vorteilen zu profitieren. Glücklicherweise sind wir in der Lage, unseren Bestandskunden vor Ort durch unsere bereits erwähnte Beschaffungsstrategie nach wie vor günstige Konditionen anzubieten. Ihnen möchten wir an dieser Stelle auch dafür danken, dass sie uns schon lange Jahre die Treue halten und nicht nur die individuelle Einsparung beim Energiepreis sehen. Diese lässt sich ohnehin nur durch den jährlichen Lieferantenwechsel aufrechterhalten – die Risiken zeigen sich jetzt in aller Deutlichkeit. Bei Neukunden sieht die Lage etwas anders aus. Aber auch sie lassen wir nicht im Regen stehen. Sie können sich darauf verlassen, dass wir unsere Funktion in der Daseinsvorsorge voll wahrnehmen. Als etabliertes, kommunales Unternehmen steht bei uns eine nachhaltige Geschäftspolitik an erster Stelle. Wir sind der verlässliche Partner und Umsorger – unsere Kunden können jederzeit auf unser Versorgungsversprechen vertrauen.

 

Wenn Sie als regionaler Versorger von nachhaltiger Geschäftspolitik sprechen. Was meinen Sie damit?

Wir sind eben keine reine Vertriebsgesellschaft, sondern seit knapp 70 Jahren fest in der Region verankert. Die Rheinhessische gehört mehrheitlich der Stadt Ingelheim – und damit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort. Das bedeutet ein hohes Maß an Verantwortung, das wir in ganz unterschiedlicher Weise wahrnehmen. Allein dieses Jahr investieren wir drei Millionen Euro vor Ort – in den Ausbau und die Ertüchtigung unserer Strom-, Gas- und Wassernetze. Dabei arbeiten wir vorrangig mit lokalen Firmen zusammen. Außerdem bietet die Rheinhessische 91 sichere Arbeitsplätze und bildet aktuell vier gewerbliche sowie einen kaufmännischen Azubi aus.

„Allein dieses Jahr investieren wir drei Millionen Euro vor Ort – in den Ausbau und die Ertüchtigung unserer Strom-, Gas- und Wassernetze.“

Welche Aktivitäten gibt es sonst noch?

Wichtig ist uns auch, Kultur, Sport und soziale Projekte aus der Region zu fördern. Von unserem Sponsoring profitieren zahlreiche Vereine und Initiativen in und um Ingelheim herum. Viele davon sind bekannt und beliebt, wie die Konzertreihe „Donnerstags in der City“, das Rotweinfest, die Wahl der Rheinhessischen Weinkönigin, die Unterstützung der Sucht- und Jugendberatung oder die Beleuchtung des Bismarckturms als Adventskerze. Und unseren Kunden liefern wir eben nicht nur Strom und Gas, sondern wir unterstützen sie mit Services und Dienstleistungen, wie etwa unserer kostenlosen Energieberatung.

 

Welche Rolle übernehmen Sie beim Klimaschutz?

Zunächst einmal gehören wir zu den Pionieren in der Branche, die ihren Kunden seit über zehn Jahren echten Ökostrom nach Hause liefern. Allein dadurch haben wir dem Klima über 300.000 Tonnen CO 2 erspart. Dazu kommt, dass wir die Umsetzung der
Energiewende durch Beteiligungen am Windpark in Kandrich, an der ISW Ingelheimer Solar Windenergie und an der Thüga Erneuerbare Energien aktiv voranbringen. Außerdem betreiben wir zudem mehrere Blockheizkraftwerke in der Region, die klimaschonend Strom und Wärme erzeugen. Nicht zu vergessen: Der Netzbetrieb der Rheinhessischen kümmert sich darum, dass jede neue Ökostrom-Anlage in der Region ihren Anschluss erhält und ihren grünen Strom ins Netz einspeist. Aktuell sind das 1016 Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von über 17 Megawatt und 29 Blockheizkraftwerke.

Bildnachweis: Thomas Schmidt, peterschreiber.media - iStock.com, kirisa99 – iStock.com

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