Der Winter rückt näher – und viele fragen sich, ob die Gasversorgung sicherer ist als im zurückliegenden Krisenjahr. Die gute Nachricht: Die Bundesnetzagentur blickt deutlich optimistischer auf die kalte Jahreszeit. Zwar bestehen Restrisiken und Energiesparen bleibt weiter wichtig, doch Deutschland ist viel besser vorbereitet als 2022. Die Rheinhessische hat sich die Lage der Gasversorgung Mitte November genau angeschaut und beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie sieht die Lage der Gasversorgung für den Winter 2023/24 aus?
Noch vor einem Jahr sorgten sich viele Menschen wegen einer möglichen Gasmangellage – doch dank milder Temperaturen, neuer Lieferquellen und gut gefüllter Gasspeicher kam Deutschland ohne Probleme über den Winter. Seitdem ist viel passiert, um die Ausgangssituation zu verbessern und eine sichere Gasversorgung zu gewährleisten. Deshalb schätzt die Bundesnetzagentur in ihrem wöchentlichen Lagebericht die Situation Stand Mitte November deutlich besser ein als noch vor einem Jahr. Aus mehreren Gründen: Zunächst einmal erreichten die Gasspeicher bereits Anfang November einen Füllstand von 100 Prozent – genug, um Haushalte und Unternehmen über zwei bis drei durchschnittlich kalte Wintermonate ausreichend mit Gas zu versorgen. Außerdem hat die Industrie das zurückliegende Jahr genutzt und verbraucht inzwischen konstant rund 20 Prozent weniger Gas als zuvor. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen die Betreiber der Gasspeicher, die sich im Verband INES zusammengeschlossen haben. Auch sie beurteilen die Lage regelmäßig anhand mehrerer Szenarien. Stand November kommt der Verband zu dem Schluss, dass nur noch ein Szenario mit extrem kalten Temperaturen bei gleichbleibendem Verbrauchsverhalten von Haushalten und Gewerbe die Versorgungssicherheit gefährdet.
Bleibt Energiesparen weiter wichtig?
Trotz der relativ entspannten Ausgangssituation werben sowohl Bundesnetzagentur als auch der Speicherverband INES weiter fürs Gassparen. Schon allein deshalb, um den Geldbeutel der Haushalte zu entlasten. Denn die Gaspreise haben sich zwar im Laufe des Jahres deutlich entspannt, sie liegen aber immer noch weit über dem Vorkrisenniveau. Die Bundesnetzagentur betont außerdem, dass sich Privathaushalte und Unternehmen nach wie vor auf schwankende Preise und ein insgesamt höheres Preisniveau einstellen müssen. Sollte es zu einem Gasmangel kommen, sind kräftige Preissteigerungen zudem sehr wahrscheinlich. Um das im Fall sehr kalter Temperaturen zu verhindern, bleibt ein achtsamer Umgang mit Energie weiter wichtig. Denn nach einer INES-Analyse könnten bei extremer Kälte insbesondere Haushalte und Gewerbe durch Einsparungen dazu beitragen, dass auch industrielle Produktionsprozesse in Deutschland am Laufen bleiben. Das Abschaltkonzept der Bundesnetzagentur vom Juli 2023 sieht ebenfalls bei einer Gasmangellage vor, im ersten Schritt verstärkt auszuspeichern und gleichzeitig den sogenannten Komfortverbrauch zu reduzieren. Letzteres betrifft zum Beispiel das Anheizen von Saunen.
Haben Haushalte seit Beginn der Energiekrise ihr Verbrauchsverhalten geändert?
Privatpersonen haben ihr Sparpotenzial beim Heizen bislang wenig erschlossen – insbesondere, wenn sie in unsanierten Gebäuden leben. Laut der Beratungsgesellschaft co2online sank der Verbrauch im vergangenen Winter in den Gebäuden zwar insgesamt um 10,6 Prozent – aber vorrangig durch die milden Temperaturen. Witterungsbereinigt liegt die Einsparung lediglich bei 1,4 Prozent. Haushalte mit Gasheizungen verringerten ihren Verbrauch allerdings mehr – um durchschnittlich 3,4 Prozent. Auch in der Region fällt die Bilanz besser aus – im Durchschnitt reduzierten Kund:innen der Rheinhessischen ihren Gasverbrauch sogar um 18 Prozent (Link zu: https://www.rheinhessische.de/index.php/blog/raus-aus-der-energiekrise-rein-in-die-energiewende.html). Dabei unterstützt der regionale Energieversorger weiterhin umfassend: zum Beispiel mit regelmäßigen Beiträgen zu den Themen Energiesparen und Energieeffizienz im Blog oder mit professionellen Energieberatungen im eigenen Zuhause.
Nach Nord Stream 1 und Nord Stream 2 im Vorjahr liefert seit Oktober 2023 die Pipeline Baltic Connector zwischen Estland und Finnland kein Gas mehr. Ist das wie zuvor unproblematisch?
Auf die Versorgungssicherheit hat das aktuell wenig Einfluss. Zum Vergleich: Nord Stream 1 hatte eine 23-fach höhere Kapazität. Allerdings wirkte sich der Vorfall – neben anderen Faktoren – unmittelbar auf die Börsenpreise aus – ein Zeichen für die INES, dass die Gasversorgung Europas aktuell sehr sensibel ist und auf einer funktionierenden Infrastruktur basiert. Laut Bundesnetzagentur könnten auch geringere Liefermengen oder ein russischer Exportstopp von Erdgas nach Südeuropa die Lage verschärfen – eine Häufung dieser Ereignisse ist aber nach Ansicht der Expert:innen eher unwahrscheinlich.
Welche Rolle spielt inzwischen Flüssigerdgas für Deutschland?
Den Großteil seiner Importe bezieht Deutschland nach wie vor über Pipelines, vorrangig aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine gelangt aber immer mehr Flüssigerdgas, kurz LNG, nach Europa und damit nach Deutschland. Riesige Tanker transportieren den Brennstoff aus unterschiedlichen Regionen der Welt über die Meere – etwa aus den USA, Katar und Australien. An derzeit 37 Terminals löschen die Schiffe ihre wertvolle Ladung.
Inzwischen verfügt Deutschland über eigene, schwimmende Flüssiggasterminals. Drei davon sind bereits in Wilhelmshaven, Lubmin und Brunsbüttel im Regelbetrieb, drei weitere sollen in diesem Winter in Stade, Wilhelmshaven und auf Rügen folgen. Laut Bundesnetzagentur sind die sechs Anlieferstellen bei einem strengen Winter für eine sichere Versorgung wesentlich. Die Gesamtkapazität dieser schwimmenden Terminals umfasst laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz rund 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Das macht ungefähr die Hälfte der von Russland 2021 nach Deutschland importierten Menge aus.
Gibt es weitere Aspekte, die für die Versorgungssicherheit wichtig sind?
Die deutsche Gasinfrastruktur ist Teil eines gut ausgebauten europäischen Verbundnetzes, das den innereuropäischen Gasaustausch möglich macht. Für eine stabile Versorgung spielt darüber hinaus die Vorratshaltung des Brennstoffs in Gasspeichern eine wichtige Rolle. 51 dieser Lagerstätten gibt es derzeit in Deutschland. Ihr Speichervolumen beträgt insgesamt rund 24 Milliarden Kubikmeter – also rund 240 Milliarden Kilowattstunden. Das maximal in Deutschland verfügbare Speichervolumen reicht aus, um rund ein Viertel des jährlichen Erdgasverbrauchs abzudecken. Aktuelle Füllstände aller europäischen Gasspeicher hält die Gas Infrastructure Europe aus Brüssel vor.
Was passiert, wenn es doch zu einem Gasmangel kommt?
Kommt es zu einem Engpass – auch Gasmangellage genannt –, greifen in Deutschland ausgefeilte Sicherungsmechanismen nach dem Notfallplan Gas. Dieser basiert auf einer EU-Verordnung von 2017 und regelt, wie hierzulande bei einer Gasmangellage zu verfahren ist. Der Notfallplan Gas gliedert sich in drei Stufen – die Frühwarn-, die Alarm- und die Notfallstufe. Seit Juni vergangenen Jahres gilt hierzulande die Alarmstufe. Wie in der Frühwarnstufe sichern in diesem Fall marktbasierte Aktionen die Gasversorgung. Dazu gehört etwa, auf Reserven in Gasspeichern zuzugreifen und die Beschaffung über andere Lieferanten zu organisieren. Hinzu kommen der Wechsel auf alternative Energieträger und vertraglich geregelte Abschaltvereinbarungen mit der Industrie. Erst wenn die Notfallstufe eintritt, übernimmt die Bundesnetzagentur. Sie kann Zwangsmaßnahmen anordnen – also beispielsweise bestimmte Gaskraftwerke und Industriekunden vom Netz nehmen. Wichtig zu wissen: Haushalte und Einrichtungen wie Krankenhäuser und Pflegeheime stehen dabei unter einem besonderen Schutz – ihnen wird so lange Gas geliefert, wie es physikalisch zur Verfügung steht.
Welche Folgen hat die aktuelle Lage der Gasversorgung auf die Energiepreise?
Im Vergleich zum Herbst 2022 hat sich die Lage auf den Beschaffungsmärkten durch das wieder steigende Angebot etwas entspannt – die Preise liegen aber weiterhin über dem Vorkrisenniveau. Das wirkt sich auch auf die Strompreise aus, die in der Folge ebenfalls zurückgingen. Fachleute rechnen allerdings damit, dass Strom und Gas mittelfristig im Vergleich zu Vorkrisenzeiten um den Faktor zwei teurer sein werden – und damit auch die Gas- und Stromtarife für Haushalte. Nichtsdestotrotz kommt die positive Entwicklung bei der Beschaffung nun zeitversetzt bei vielen Kund:innen an. Auch die Rheinhessische senkt die Preise beim Strom sogar in allen Tarifen. In der Strom-Grundversorgung kostet die Kilowattstunde ab 2024 13 Prozent weniger und fällt damit unter die Preisbremse, die bei 40 Cent je Kilowattstunde liegt. Beim Gas verringern sich die Kosten in der Grundversorgung um 12 Prozent, sind dann jedoch noch leicht über der Preisbremse von zwölf Cent je Kilowattstunde. Allerdings plant die Bundesregierung, die Entlastung noch bis zum Ende der Heizperiode zu verlängern. Aktuell muss die EU dem Kabinettsbeschluss aber noch zustimmen.
Kann Deutschland unabhängiger von Gasimporten werden?
Die Weichen sind längst gestellt: Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden. Was die Abkehr von fossilen Energieträgern erfordert – auch die von Erdgas. All dies war schon vor dem Krieg in der Ukraine beschlossene Sache. Der Konflikt und seine Auswirkungen auf den Energiemarkt dürften diesen Prozess allerdings beschleunigen: Deutlich schneller als bisher sollen erneuerbare Energien auch im Wärmemarkt die Abhängigkeit von Importen verringern. Dafür hat die Bundesregierung das Gebäudeenergiegesetz novelliert, das am 1. Januar 2024 in Kraft tritt. Es schreibt unter anderem vor, dass ab kommendem Jahr in Neubaugebieten nur noch Heizungen in Betrieb gehen, die mindestens 65 Prozent erneuerbare Energien nutzen.
Lässt sich der Erdgasbedarf in Zukunft mit erneuerbaren Energien decken?
Sicher ist, dass Erdgas als Brennstoff in den nächsten Jahren Stück für Stück durch klimaneutrales Gas ersetzt wird. Dafür eignet sich bereits verfügbares heimisches Biogas. Es lässt sich aufbereiten und dann als Biomethan in die vorhandene Leitungsinfrastruktur einspeisen. Außerdem gilt mit Ökostrom erzeugter, CO2-freier grüner Wasserstoff als Hoffnungsträger auf dem Weg in die klimaneutrale Zukunft. Bereits im kommenden Jahr soll der Startschuss für das deutsche Wasserstoffnetz fallen. Das Potenzial ist riesig. Dies belegen zahlreiche aktuelle Pilotprojekte im Bereich Mobilität, Industrieproduktion oder Heizen. Schon heute leistet grüner Wasserstoff einen Beitrag zur Wärmewende. Denn er lässt sich bereits bis zu einem Anteil von 20 Prozent dem Gas im Verteilnetz beimischen.