Fast überall in Deutschlands hat die Heizperiode begonnen. In den nächsten Wochen und Monaten wird sich herausstellen, ob es gelingt, eine Gasmangellage abzuwenden und ob wir den Winter ohne größere Komplikationen überstehen. Die Bundesregierung hat bislang zwei massive Maßnahmen beschlossen, um die Marktmechanismen und die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten: die Verstaatlichung des größten Gasimporteurs Uniper und eine Befüllung der Gasspeicher über den Sommer. Dies trägt entscheidend dazu bei, dass – Stand heute – wahrscheinlich niemand in seiner Wohnung frieren muss, treibt aber die Kosten weiter nach oben. Deshalb hat die Politik zum 1. Oktober 2022 die Mehrwertsteuer auf Erdgas von 19 auf 7 Prozent gesenkt und eine Gaspreisbremse beschlossen. Was genau es damit auf sich hat, wie es um die Versorgungssicherheit steht und worauf sich Kund:innen in Sachen Gaspreis einstellen müssen, erklärt Geschäftsführer Martin Wunderlich im Interview.
Russland hat seine Gaslieferungen nach Deutschland zwischenzeitlich komplett eingestellt. Hand aufs Herz, Herr Wunderlich, wie sieht es um die Versorgungslage beim Erdgas aus?
Martin Wunderlich: Verbindliche Prognosen verbieten sich nach wie vor. Denn niemand kann seriös abschätzen, wie sich die Situation entwickelt. Im August hatten Expertinnen und Experten der Bundesnetzagentur verschiedene Szenarien kalkuliert und kamen zu einem positiven Schluss. Demnach würde Deutschland ohne größere Schwierigkeiten durch die Heizperiode kommen. Allerdings beruhte deren Berechnung unter anderem auf der Annahme, dass die Lieferungen durch Nord Stream 1 stabil bei 20 Prozent der Maximalkapazität bleiben. Spätestens seit den mutmaßlichen Anschlägen auf die Ostseepipelines steht fest, dass diese Bedingung nicht erfüllt wird. Umso wichtiger ist es, dass wir alle Gas einsparen, so gut es geht. Es zählt buchstäblich jede Kilowattstunde.
Wie schätzen Sie diese neue Lage ein?
Ernst, aber immer noch beherrschbar. Denn es ist gelungen, die Speicher trotz zunächst reduzierter und schließlich gänzlich ausbleibender russischer Lieferungen wie geplant aufzufüllen. Mitte Oktober waren bereits 94,4 der bis November anvisierten 95 Prozent Füllung erreicht. Offenkundig gehen die Menschen schon deutlich bewusster mit Gas um. Alleine in unserer Region verzeichnen wir deutliche Einsparungen in den privaten Haushalten. Bundesweit betrachtet ist auch die Industrie auf einem sehr guten Weg. Das zeigen Vergleiche mit den Vorjahren. Jetzt gilt es, konsequent am Ball zu bleiben. Denn der Wegfall der russischen Lieferungen spitzt die Situation ohne jeden Zweifel zu.
Im Grunde zwingt die Politik Gaskundinnen und -kunden zum Sparen. Oder wie lassen sich die Umlagen erklären, die Erdgas kürzlich deutlich teurer gemacht haben?
Das würde ich gern differenzierter betrachten. Natürlich sind hohe Preise ein guter Ansporn zum Sparen. Aber das ist nur ein Nebeneffekt. Primär verfolgt die Bundesregierung mit den beiden neuen Umlagen, die seit dem 1. Oktober gelten, ein anderes Ziel – die Sicherung der Gasversorgung. Die Speicherumlage nach §§ 35 e und g Energiewirtschaftsgesetz dient dem Zweck, die Speicher bis November 2022 möglichst vollständig zu befüllen. Wegen der aktuellen Börsenpreise für Gas laufen bei diesem sinnvollen Vorhaben schon seit Monaten absurd hohe Kosten auf. Und die werden mit der Umlage auf alle Gaskundinnen und -kunden verteilt. Die Gasspeicherumlage beträgt brutto 0,06 Cent pro Kilowattstunde. Hinzu kommt eine zeitgleiche Anhebung der Bilanzierungsumlage von 0,00 Cent pro Kilowattstunde auf brutto 0,61 Cent pro Kilowattstunde. Sie dient zur Deckung des zu erwartenden Fehlbetrages aus dem Einsatz von sogenannter Regel- und Ausgleichsenergie. Die zwischenzeitlich beschlossene Gasbeschaffungsumlage ist ja schon wieder Geschichte. Sie wurde obsolet, als die Regierung entschied, Uniper, den größten deutschen Gasimporteur zu übernehmen. Ursprünglich sollte die Umlage Gasimporteure vor der drohenden Insolvenz schützen und so den Markt aufrechterhalten. Jetzt steht der Staat direkt für die Verpflichtungen von Uniper ein. Wir hatten alle Gaskunden bereits über die Gasbeschaffungsumlage informiert. Auf ein neues Preisanpassungsschreiben für die einzelnen Kundinnen und Kunden zum Wegfall dieser Umlage verzichten wir. Wir passen die Preise und Abschläge automatisch an und ziehen den darauf entfallenen Anteil wieder ab. Die Korrektur erhalten Sie mit der Jahresverbrauchsabrechnung im November.
Bleibt aber immer noch ein deutlicher Aufpreis, den viele Menschen nicht durch sparen kompensieren können …
Das ist leider richtig. Offenbar haben die Verantwortlichen in Berlin dieses Problem erkannt und deshalb die Mehrwertsteuer auf Erdgas seit Oktober auf 7 Prozent gesenkt. Das wirkt sich spürbar auf die Gasrechnung aus. Dazu kommt die 200 Milliarden schwere Gaspreisbremse, mit der die Regierung alle Gaskundinnen und Gaskunden ab 2023 entlasten möchte. Sie ist zwar beschlossen. Wie genau sie ausgestaltet sein wird und was das letztlich für den Gaspreis bedeutet, steht aber noch nicht fest. Wir informieren umgehend alle betroffenen Kundinnen und Kunden, sobald die Umsetzung konkret ist.
Gelten die Umlagen und die Mehrwertsteuersenkung auch für Fern- und Nahwärme?
Ja. Wir haben unsere Wärmekundinnen und -kunden bereits angeschrieben und über die neue, geänderte Lage informiert. Wie beim Gas kommt auch bei Wärmekundinnen und -kunden die mit dem Schreiben angekündigte Gasbeschaffungsumlage aber selbstverständlich nicht zum Tragen.
Wie geht es mit dem Gaspreis weiter?
Das hängt von der künftigen Entwicklung ab. Etwa davon, ob es gelingt, Erdgas in ausreichender Menge aus anderen Nationen zu beschaffen. Und welchen finanziellen Aufwand dies bedeutet. Folgerichtig wird die zunächst bis zum 1. April 2025 begrenzte Gasspeicherumlage alle sechs Monate angepasst. Davon ausgenommen sind die erste und die letzte Umlagenperiode, für die jeweils drei Monate angesetzt sind. Die Höhe der Bilanzierungsumlage gilt für zwölf Monate. Wichtig zu wissen: Jede Erhöhung oder Senkung der Umlagen kündigen wir mit entsprechender Vorlaufzeit an. Und in diesem Zusammenhang möchte ich an dieser Stelle noch einmal erwähnen, dass die Rheinhessische die Umlagen 1:1 abführt und damit keinerlei Gewinne erzielen.
„Wir als Energieversorger führen die Gasumlagen 1:1 ab und erzielen damit keinerlei Gewinne.“
Was bedeuten die Mehrwertsteuersenkung und die beiden Umlagen für einen typischen Haushalt?
Der Wegfall der Gasbeschaffungsumlage entlastet deutlich. Die beiden anderen Umlagen machen bei einem typischen Haushaltskunden von 18.000 Kilowattstunden knapp 135 Euro im Jahr mehr aus. Aufgrund der Mehrwertsteuersenkung, die ja auf den Gesamtpreis erhoben wird, fallen aber nun sogar rund 95 Euro pro Jahr weniger an. Der Effekt macht sich also deutlich bemerkbar. Dennoch befinden wir uns im Vergleich zum Anfang des Jahres natürlich auf einem sehr hohen Preisniveau.
Was sagen Sie jenen, die sich derart hohe Energiekosten schlicht nicht leisten können? Mehrwertsteuer hin oder her …
Wir wissen, dass die Preissituation viele Menschen vor echte Probleme stellt. An der Sache an sich können wir leider nichts ändern. Aber wir lassen niemanden allein. Wer in Zahlungsschwierigkeiten gerät oder finanzielle Engpässe auf sich zukommen sieht, kann sich vertrauensvoll an uns wenden. Wir finden dann gemeinsam eine Lösung. Darüber hinaus helfen wir unseren Kundinnen und Kunden aktiv dabei, Energie zu sparen. Etwa mit unseren praxistauglichen, vielfach erprobten Tipps, die wir in unserem Blog zusammengestellt haben. Nicht zuletzt passen wir die künftigen Abschläge üblicherweise automatisch an. Damit möchten wir böse Überraschungen und nicht mehr zu bewältigende Nachzahlungen verhindern. Auch hier gilt: Sollten die von uns im Anschreiben angekündigten Abschläge die individuellen finanziellen Möglichkeiten überschreiten, bieten wir persönliche Gespräche an, in denen wir nach Alternativen suchen. Nicht zuletzt möchte ich auch an dieser Stelle versichern, dass wir alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um künftige Preisanstiege so moderat wie möglich zu gestalten.
„Wir wissen, dass die Preissituation viele Menschen vor echte Probleme stellt. Aber wir lassen niemanden allein.“
Heißt das, dass Erdgas noch teurer wird? Worauf müssen sich Ihre Kundinnen und Kunden in der Region einstellen?
Seit Oktober geben wir zunächst die beiden von der Politik beschlossenen Umlagen weiter. Bei Kundinnen und Kunden, deren Vertrag vor der Verlängerung steht, kommen zusätzlich die gestiegenen Beschaffungskosten obendrauf. Jenen mit Altverträgen müssen wir sogar eine Kündigung aussprechen, um die Bedingungen an die geänderte Situation anzupassen. Diesen Kundinnen und Kunden unterbreiten wir deshalb ein neues und im Marktvergleich sehr faires Angebot. Möglich wird dies durch unsere langfristig angelegte und vorausschauende Beschaffungsstrategie. Dazu ein paar Details: Seit Januar 2021 haben sich bei uns die Kosten für Erdgas bei einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 18.000 Kilowattstunden bis heute in mehreren Schritten um rund 49 Prozent erhöht. Die Mehrwertsteuersenkung ist hierbei bereits berücksichtigt. Zum Vergleich: Legt man den aktuellen Börsenpreis zugrunde, wären nach heutigem Stand (Oktober 2022) bereits Preissteigerungen von etwa 200 Prozent zu verzeichnen. Bei 18.000 Kilowattstunden läge die Preisdifferenz bei über 2.700 Euro pro Jahr bezogen auf den 1. Januar 2021. Aber ich möchte niemandem etwas vormachen. Bleiben die Preise weiterhin auf diesem hohen Niveau, wird sich dies auch in unseren Beschaffungspreisen widerspiegeln.
Lässt sich ein Ende dieser Preisspirale absehen?
Auch bei diesem Thema halte ich jede Form von Prognose für Kaffeesatzleserei. Schon im Oktober 2021 konnte sich niemand in der Branche vorstellen, dass die Gaspreise weiter steigen. Die traurige Realität hat uns inzwischen schon mehrfach eines Besseren belehrt. Letztlich wird vieles von der geopolitischen Entwicklung abhängen. Und von unserer Fähigkeit, Deutschland den neuen Gegebenheiten anzupassen. An der Energiewende an sich führt kein Weg mehr vorbei. Sie ist mittlerweile von existenzieller Bedeutung für unser Land. Bei den vielen verschiedenen Möglichkeiten, die sich mit diesem einschneidenden Umbau eröffnen, sollten wir aber ganz genau hinschauen. Ich hoffe inständig, dass wir als Gesellschaft nicht wieder den Fehler begehen, uns auf bestimmte Technologien festlegen zu lassen. Jede Region bietet unterschiedliche Optionen. Die gilt es zu nutzen. Und wer könnte das besser als ein regional verwurzelter Energieversorger wie die Rheinhessische? So gesehen, halte ich es für realistisch, dass Energie wieder günstiger wird. Aber noch sind wir hierzulande auf fossile Energieträger angewiesen, die wir importieren müssen. Um damit die Zeit zu überbrücken, bis die neue, regenerativ funktionierende Infrastruktur steht. Und so lange wird Energie wohl ein kostbares Gut bleiben.
FAQs.
Alle Erdgaskund:innen wurden mit entsprechender Vorlauffrist angeschrieben. Dies geschieht, abhängig von der Vertragsgestaltung, postalisch oder per E-Mail. Kund:innen mit Wärmeverträgen wurden ebenfalls informiert.
Unser Newsletter informiert regelmäßig über die Preisentwicklungen am Energiemarkt. Zur Anmeldung geht es hier entlang. Darüber hinaus werden immer wieder neue Blogbeiträge an dieser Stelle veröffentlicht.
Selbstverständlich können Sie Ihre Abschläge jederzeit über unser Kundenportal anpassen. Gerne steht Ihnen auch unser Kundenservice-Team persönlich unter der Telefonnummer 0800-7801-300 zur Verfügung. Oder Sie nutzen einfach unseren WhatsApp-Kanal unter 01577-7801777.
Die Zeiten sind herausfordernd und Energie zu sparen bleibt das Gebot der Stunde. Bei Fragen rund um das Thema Energieverbrauch beraten wir Sie kostenlos in unserer Mittwochs-Sprechstunde. Immer von 8.30 bis 12.00 Uhr und von 13.00 bis 16.00 Uhr auf unserem Firmengelände. Benutzen Sie zwecks Terminvereinbarung unser Online-Terminbuchungstool.
Leider ist das nicht möglich. Der Gesetzgeber schreibt die Umlage zwingend vor. Wichtig zum Verständnis: Wir als Ihr Energieversorger führen die Umlagen zu 100 Prozent ab und erzielen keinerlei Vorteil daraus.
Wir sind für Sie da und wir finden gemeinsam eine Lösung. Einvernehmlich lassen sich kurzfristig Zahlungsaufschübe und/oder Ratenzahlungen vereinbaren und mittelfristig Energiesparmöglichkeiten aufzeigen.
Wichtig zu wissen: Falls Sie, aus welchen Gründen auch immer, in Zahlungsverzug geraten, nehmen wir Kontakt mit Ihnen auf, bevor weitere Schritte eingeleitet werden.
Energierechnungen oder monatlichen Abschläge einfach nicht zu bezahlen, ist keine gute Alternative. Dann nämlich drohen zusätzliche Kosten – in Form von Gebühren für Mahnungen, das Inkasso, die Sperrung oder Gerichtsverfahren. Wir empfehlen dringend, unser Gesprächsangebot anzunehmen. Gemeinsam – gegebenenfalls auch unter Einbindung externer Beratungs- oder Förderstellen sowie von Sozialverbänden und sozialen Einrichtungen – lassen sich einvernehmliche Lösungen entwickeln, bevor unnötige Kosten entstehen – oder gar die Sperrung droht.
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